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In dem Augenblick, als Martin Merana nach dem heißen Glühweinbecher griff, um mit seinen beiden Mitarbeitern Carola Salman und Otmar Braunberger anzustoßen, passierte zweierlei: Der Klang von Posaunen setzte ein, und es begann zu schneien. Das ist ja wie inszeniert!, dachte Merana. Die Bläser spielen Leise rieselt der Schnee, und der beginnt tatsächlich zu rieseln. Das fühlt sich an wie großes Weihnachtstheater. Er reckte das Gesicht zum Himmel, ließ die dicken Schneeflocken auf sein Gesicht gleiten, auf Stirn, Augen, Wangen, Nase. Er öffnete den Mund, spürte die kleinen weißen Schneekristalle, die sacht auf seiner Zunge landeten. Er fühlte sich um Jahrzehnte zurückversetzt, in seine Kindheit. Da hatte er es auch geliebt, sich die Flocken ins Gesicht tropfen zu lassen wie zarte, kitzelnde, erfrischende Küsse.
… freue dich, ’s Christkind kommt bald.
Merana reckte den Hals. Er konnte nicht genau ausmachen, woher die Musik kam, das Gedränge rings um den Glühweinstand war zu dicht. Vermutlich waren die Musiker irgendwo unter den Dombögen postiert, vielleicht auch auf den Eingangsstufen der Kathedrale. Jedenfalls breitete sich der Klang der mehrstimmigen Bläserweise wie eine feine Decke über dem Platz aus. Merana hatte sich vor zwei Stunden gewundert, dass seine Stellvertreterin, Chefinspektorin Carola Salman, in sein Büro gekommen war, um ihn zu einem spontanen Besuch des Christkindlmarktes in der Salzburger Altstadt zu überreden. Das war sonst gar nicht ihre Art. Er hatte gezögert, hatte erwidert, wenn schon, dann wolle er lieber zum Adventmarkt nach Hellbrunn. Aber dann war auch noch Otmar Braunberger dazu gestoßen, der meinte: »In Hellbrunn bist du ohnehin oft genug, Martin, lass uns in die Stadt gehen!« Und so stand er eben jetzt mit seinen zwei engsten Mitarbeitern vor der Glühweinhütte in der Mitte des Domplatzes, eingepfercht zwischen Weihnachtsengeln, Krippenfiguren, Lichterketten, Christbaumkugeln, duftenden Bratwürsten und Tausenden Besuchern, mit tanzenden Schneeflocken vor den Augen, und lauschte den Klängen des Bläserquartetts, das nun den Anfang von Süßer die Glocken nie klingen intonierte. Das Lachen, das an sein linkes Ohr drang, klang auch süß. Es kam von zwei Italienerinnen, die hellauf glucksten und an ihren Gläsern mit ›Aperolpunsch‹ nippten. Dieses Gebräu war zur Zeit das absolute In-Getränk auf dem Salzburger Christkindlmarkt.

Wenn er sich recht erinnerte, dann gab es dieses vorweihnachtliche geschäftige Treiben rund um den Dom schon sehr lange. Und als hätte Abteilungsinspektor Otmar Braunberger Meranas Gedanken erraten, sagte er unvermittelt: »Was man bei den alten Weibern für schöne Sachen zu kaufen finden kann.« Der Kommissar wusste mit dieser Bemerkung seines Mitarbeiters nicht so recht etwas anzufangen. Auch die Chefinspektorin blickte leicht verwundert drein. »Keine Angst, Carola, das mit den alten Weibern ist keine Respektlosigkeit gegenüber der Damenwelt hier im weiten Rund, sondern ein Zitat aus dem 15. Jahrhundert.« Der Abteilungsinspektor lachte und hob seinen Glühweinbecher. Die Angesprochene verstand immer noch nicht, was Otmar Braunberger meinte. »Also gut, dann muss ich den beiden Chefermittlern eine kurze Einführung in die Geschichte des Salzburger Christkindlmarktes geben.« Bevor er dieses Vorhaben in die Tat umsetzte, wandte der Abteilungsinspektor sich kurz um und fragte den pausbäckigen Mann in der Glühweinhütte, ob er vielleicht ein kleines Bier haben könnte. Der Glühwein sei zwar sicher von edler Qualität, fügte Braunberger hinzu, und die raffinierte Gewürzmischung gewiss über alle Maßen zu loben, aber ein herzhaftes Hopfengetränk wäre ihm jetzt doch lieber. Der Pausbäckige grinste, langte unter die Schank, holte eine kleine Flasche hervor und reichte sie dem Polizisten. Der öffnete den Drehverschluss, nahm einen ausgiebigen Schluck und ließ im Ausatmen einen Ausdruck des Wohlwollens vernehmen.

»Also, meine Lieben, dann darf ich kurz ausholen. Die alten Weiber, bei denen man schöne Sachen zu kaufen findet, wie es in einem überlieferten Lied heißt, bezieht sich auf die Standlerinnen des alten Tandlmarktes, der schon im Mittelalter hier rings um den Dom abgehalten wurde. Daraus wurde allmählich ein beliebter und viel besuchter Vorweihnachtsmarkt, der im 17. Jahrhundert in den Chroniken als Nikolaimarkt auftaucht.«

»Das heißt, der Markt hatte damals nicht das Christkind im Namen, sondern den Heiligen Nikolaus

Der Abteilungsinspektor prostete Merana zu. »Wunderbar kombiniert, Martin. Man merkt halt doch, dass du der Chef bist.« Er zwinkerte dem Kommissar zu und lachte feixend.

Der Chef der Salzburger Kriminalpolizei boxte seinem Abteilungsinspektor freundschaftlich gegen den Oberarm. »Verarschen kann ich mich selber. Und du musst mir auch nicht erzählen, dass viele Jahrhunderte lang der Nikolaustag, also der 6. Dezember beziehungsweise der Vorabend, der eigentliche Gabentag in der Weihnachtszeit war. Einander Geschenke am 24. und 25. Dezember zu überreichen, ist eine viel jüngere Tradition.«

Braunberger hob erneut anerkennend die Flasche, ersparte sich aber jegliche Bemerkung. Carola prostete mit. Sie hatte einen Aperolpunsch gewählt, Merana war lieber beim guten alten Glühwein geblieben. Inzwischen waren die Bläser in der Ferne bei Alle Jahre wieder angekommen. Der Schneefall nahm zu. Auf den schwarzen Locken der immer noch glucksenden Italienerinnen bildeten sich weiße Flockenkronen. Merana blickte sich um. Ein vielstimmiges fröhliches Geschnatter, untermalt von Posaunenklang und Lachen, drang an sein Ohr. Fast eine Million Besucher aus der ganzen Welt kam jedes Jahr hierher, um in das funkelnde Glitzerreich des berühmten Salzburger Christkindlmarktes einzutauchen. »Also Martin, auf einen weiterhin schönen Abend!« Seine Stellvertreterin hob erneut ihr Punschglas. Während sie behutsam einen Schluck nahm, richtete sie ihren Blick auf den Kommissar. Es blitzte kurz in den grauen Augen auf, und ein seltsames Lächeln stahl sich in ihr Gesicht. So kam es Merana zumindest vor. Aber vielleicht waren es auch nur die Lichter der hell erleuchteten Stände der Umgebung, die sich auf dem Gesicht der Chefinspektorin spiegelten. Merana spürte, wie ihm plötzlich warm wurde. Kam das vom Glühwein? Gut, dass er nicht mit dem Auto in die Stadt gefahren war. Er würde wohl auch für die Heimfahrt ein Taxi nehmen und seinen Wagen in der Polizeidirektion stehen lassen. Er blickte hoch. Obwohl es in dicken Flocken auf sie herabschneite, und man den Eindruck hatte, eine weiße Decke schwebe über ihnen, gab es trotzdem einen Sternenhimmel auszumachen. Über ihnen schimmerten die vielen Lichter der großen sternförmig gespannten Girlanden, die sich über den gesamten Markt zogen. Ein Lichtermeer vor der hell erleuchteten Fassade des Doms. Das ist so kitschig, dass es schon wieder schön ist, dachte Merana. Und die weißen Mauern der Festung Hohensalzburg, die in der Entfernung hoch über ihnen von Scheinwerfern bestrahlt aus dem Schneeflockennachthimmel geschält wurden, verstärkten noch den märchenhaften Eindruck. Merana löste seinen Blick von Lichterketten und Festungszinnen. Gut, beschloss er für sich, einen Becher Glühwein noch, dann ist Schluss. Noch ehe er seine Bestellung äußern konnte, drückte ihm seine Stellvertreterin schon die dampfende, frisch gefüllte Keramikschale in die Hand. Wieder konnte er dieses schwer zu deutende Lächeln in Carolas Blick erkennen. Das verwirrte ihn. Wenn er es nicht aufgrund ihrer über die Jahre gewachsenen Freundschaft besser wüsste, würde er annehmen, sie versuchte mit ihm zu flirten. Er beugte sich vor und drückte der Chefinspektorin einen Kuss auf die Wange. Dabei mussten sich seine Lippen durch ein paar Schneeflocken auf Carolas Haut ihren Weg bahnen. »Mille grazie für den alkoholischen Nachschub, Frau Kollegin. Diesen einen Becher noch, dann lass ich es für heute genug sein.«

hungsweise der Vorabend, der eigentliche Gabentag in der Weihnachtszeit war. Einander Geschenke am 24. und 25. Dezember zu überreichen, ist eine viel jüngere Tradition.«

Braunberger hob erneut anerkennend die Flasche, ersparte sich aber jegliche Bemerkung. Carola prostete mit. Sie hatte einen Aperolpunsch gewählt, Merana war lieber beim guten alten Glühwein geblieben. Inzwischen waren die Bläser in der Ferne bei Alle Jahre wieder angekommen. Der Schneefall nahm zu. Auf den schwarzen Locken der immer noch glucksenden Italienerinnen bildeten sich weiße Flockenkronen. Merana blickte sich um. Ein vielstimmiges fröhliches Geschnatter, untermalt von Posaunenklang und Lachen, drang an sein Ohr. Fast eine Million Besucher aus der ganzen Welt kam jedes Jahr hierher, um in das funkelnde Glitzerreich des berühmten Salzburger Christkindlmarktes einzutauchen. »Also Martin, auf einen weiterhin schönen Abend!« Seine Stellvertreterin hob erneut ihr Punschglas. Während sie behutsam einen Schluck nahm, richtete sie ihren Blick auf den Kommissar. Es blitzte kurz in den grauen Augen auf, und ein seltsames Lächeln stahl sich in ihr Gesicht. So kam es Merana zumindest vor. Aber vielleicht waren es auch nur die Lichter der hell erleuchteten Stände der Umgebung, die sich auf dem Gesicht der Chefinspektorin spiegelten. Merana spürte, wie ihm plötzlich warm wurde. Kam das vom Glühwein? Gut, dass er nicht mit dem Auto in die Stadt gefahren war. Er würde wohl auch für die Heimfahrt ein Taxi nehmen und seinen Wagen in der Polizeidirektion stehen lassen. Er blickte hoch. Obwohl es in dicken Flocken auf sie herabschneite, und man den Eindruck hatte, eine weiße Decke schwebe über ihnen, gab es trotzdem einen Sternenhimmel auszumachen. Über ihnen schimmerten die vielen Lichter der großen sternförmig gespannten Girlanden, die sich über den gesamten Markt zogen. Ein Lichtermeer vor der hell erleuchteten Fassade des Doms. Das ist so kitschig, dass es schon wieder schön ist, dachte Merana. Und die weißen Mauern der Festung Hohensalzburg, die in der Entfernung hoch über ihnen von Scheinwerfern bestrahlt aus dem Schneeflockennachthimmel geschält wurden, verstärkten noch den märchenhaften Eindruck. Merana löste seinen Blick von Lichterketten und Festungszinnen. Gut, beschloss er für sich, einen Becher Glühwein noch, dann ist Schluss. Noch ehe er seine Bestellung äußern konnte, drückte ihm seine Stellvertreterin schon die dampfende, frisch gefüllte Keramikschale in die Hand. Wieder konnte er dieses schwer zu deutende Lächeln in Carolas Blick erkennen. Das verwirrte ihn. Wenn er es nicht aufgrund ihrer über die Jahre gewachsenen Freundschaft besser wüsste, würde er annehmen, sie versuchte mit ihm zu flirten. Er beugte sich vor und drückte der Chefinspektorin einen Kuss auf die Wange. Dabei mussten sich seine Lippen durch ein paar Schneeflocken auf Carolas Haut ihren Weg bahnen. »Mille grazie für den alkoholischen Nachschub, Frau Kollegin. Diesen einen Becher noch, dann lass ich es für heute genug sein.«

Er nahm vorsichtig einen Schluck, verbrannte sich dennoch leicht die Zunge. Und noch einmal vermeinte er, dieses seltsame Lächeln in Carolas Augen wahrzunehmen. Doch er kam nicht dazu, sich weiter Gedanken darüber zu machen, denn er spürte plötzlich einen heftigen Stoß im Rücken. Er drehte sich um, und konnte mit der freien Hand gerade noch verhindern, dass ein Mann mit dunkler Jacke und Umhängetasche zu Boden stürzte.

»Hallo, was ist mit Ihnen los? Ist Ihnen schlecht?«

Der Mann stöhnte. Seine Beine gaben nach, und er sackte in den Schnee. Merana vermochte ihn nicht zu halten. Ein paar der Umstehenden hatten die Szene mitbekommen. Rufe des Erschreckens wurden laut.

»Was ist denn mit dem los? Hat der zu viel gesoffen?«, kreischte eine Frau im orangefarbenen Anorak. Merana reichte Otmar seinen Becher und ging in die Hocke. Carola hatte sich ebenfalls hinuntergebeugt und versuchte, den Mann an der Jacke zu fassen, um ihm aufzuhelfen. Das Stöhnen wurde lauter. Die Chefinspektorin zog erschrocken die Hand zurück. Rote Flecken zeigten sich auf ihren Fingern.

»Blut. Der Mann ist schwer verletzt.« Nun war kein Lächeln mehr in ihrem Gesicht, nur Verwirrung. Merana richtete sich auf. Ist ein Arzt hier?, wollte er rufen, doch was er in diesem Augenblick sah, ließ ihn innehalten. Vor ihm stand das Christkind. Das wäre an sich noch nicht verwunderlich gewesen auf dem Salzburger Christkindlmarkt. Aber das Christkind hatte eine Pistole in der Hand. Und diese Pistole zielte auf den Kommissar.

»Gehen Sie von dem Mann weg!«, rief das Christkind. Die dunkle, fast rauchige Mezzosopranstimme passte so gar nicht zum goldenen Gewand, dem blondgelockten Haar und den weißen Engelsflügeln der Person. Merana hätte eine glockenhelle Stimme erwartet, mehr kindlich oder mädchenhaft.

»Zurück, oder ich schieße!« Die Mezzosopranstimme wechselte in eine höhere Lage.

Bin ich in einer total durchgeknallten Traumsequenz?, hallte es in Meranas vom Glühwein leicht diffusem Kopf. Sitze ich gleich schweißgebadet in meinem Bett, froh, dass alles nur ein Traum ist? Aber die Pistole in der Hand des Christkindes war echt. Daran bestand kein Zweifel. Eine Glock 20, Kaliber 10 Millimeter. Und die Waffe war auf ihn gerichtet. Das machte ihm Angst. Er spürte, wie sich in seinem Magen etwas zusammenschnürte wie ein schweres, nasses Bündel von Tannenzweigen …